ausgewählte Werke Werkverzeichnis
(in Vorbereitung)
Annäherungen
Text von Erich Schneider
Lebensdaten

 

Dr. Erich Schneider
Annäherungen

Eine wesentliche Facette des Künstlers G. Hubert Neidhart ist sein graphisches Oeuvre, das er von Beginn an gepflegt und intensiv bearbeitet hat. Malerei in all' ihren Ausprägungen und graphisches bzw. druckgraphisches Werk in vielgestaltiger Technik vom Holzschnitt bis zur ausgefeilten Aquatintaradierung sind für Neidhart unterschiedliche Ausdrucksformen der gleichen, ebenfalls seit Jahrzehnten vertretenen Grundanschauung. Mit beharrender, für die allgemeine Situation der Kunst in der Zeit zugleich überraschender Sicherheit hat Neidhart schon früh seine Position innerhalb des Kunstbetriebes gefunden und artikuliert.

Angesichts des absoluten Anspruches ungegenständlicher Anschauungsweisen hat der Künstler bereits 1956 seine Bindung an den Gegenstand, an die gegenständliche Malerei bekannt. Wohl wissend, "daß die abstrakte Kunst ihre Daseinsberechtigung längst nachgewiesen hat", forderte er gleichwohl jene "Freiheit des Geistes", die es erlaubt auch in gegenständlichen Bildern wieder ein Abbild unserer Weit zu schaffen.

Neben der Beharrung auf den Gegenstand, die sich jedoch nicht in platter Nachahmung der Natur erschöpfen darf, erkannte Neidhart für sich ebenfalls die Notwendigkeit "einen Standpunkt, eine Anschauung zu suchen. Dieser gewählte Standpunkt zeichnet den Erlebnisbereich vor, formt den Künstler entscheidend und bringt im Endergebnis die Aussage seiner Weltanschauung hervor". Was er vor allem zu erreichen sucht, ist Ausdruck. Und, um mit seinen eigenen Worten fortzufahren: "Ich möchte die Welt so ausdrucksvoll formulieren, wie ich sie sehe und empfinde " (1956).

Nun, der Streit zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst ist längst nicht entschieden, allenfalls zeichnet sich ein Nebeneinander stärker ab, als man das in den existentialistisch geprägten fünfziger Jahren vielleicht wahrhaben konnte. G. Hubert Neidhart freilich ist sich und seinen Maximen seitdem treu geblieben. Seine Kunst blieb bei aller Abstraktion im Einzelfall gegenständlich und seinen Standpunkt weiß er ebenfalls seit Jahrzehnten konsequent zu vertreten.
 


Rote Gasse; 1966
Öl auf Leinwand

 

 

 


Die verlassene Tafel; 1957
Öl auf Hartfaser

Vielfältig sind, wie gesagt, die Techniken, die Neidhart der jeweiligen Aufgabenstellung entsprechend einzusetzen vermag. Deren Auswahl geschieht durchaus bewußt: "Jede Technik gestattet einen anderen Ausdruck und oft ist eine Technik für dieses oder jenes Thema prädestiniert. Doch ist das nicht so zu verstehen, daß durch die Technik der Ausdruck entsteht. Das Mittel gestattet mir, diesen Ausdruck zu realisieren. Bei der Wahl dieser Mittel beginnt bereits der schöpferische Prozeß. Ausdruck steckt weder in der Leidenschaftlichkeit des Vortrags noch in einer lebhaften Bewegung, sondern in der gesamten Komposition des Bildes." (1956).

Waren die frühen Werke Neidharts insbesondere von der Ölmalerei und verwandten Spachtel- oder speziellen Walztechniken gekennzeichnet, so wurden diese in den sechziger Jahren mit dem Möglichkeiten der Collage kombiniert. Es ist eine Besonderheit der Collage, daß das Detail unverändert übernommen wird und "nur" der Zusammenhang verändert wird. Daraus entsteht eine gewollte Schärfung, eine Übersteigerung des Details zugunsten einer neuen oder doch wenigstens interpretierend veränderten Gesamtaussage. Diese wichtige Erfahrung hat Neidhart in seinen späteren Druckgrafiken besonders seit den siebziger Jahren weiterverarbeitet.

"Form" und "Inhalt" sind zwei Begriffe, die für Neidharts Schaffen wichtig sind. Der "Inhalt", das ist zunächst einmal eine Beobachtung, eine Idee, die sich allmählich in der geistigen Vorstellung zur Bildgestalt verdichtet. So gesehen ist Neidhart ein intellektueller Künstler. Auch wenn manche dieser Beobachtungen "aus dem Bauch heraus" kommen, werden sie doch verstandesmäßig bewertet und zu einer allgemeingültigen Aussage gesteigert, bevor ihnen Bildgestalt verliehen wird. Hier spielt dann die Bewältigung der"Form" eine wichtige Rolle.

Andererseits soll nach Neidharts Verständnis der Intellekt bei der schöpferischen Arbeit "dem künstlerischen Instinkt untergeordnet werden. Dieser Instinkt zwingt den Künstler dazu, sich über seine Umwelt zu äußern, ob er will oder nicht. Eingeschrieben ist ihm das Motiv durch das Erlebnis. Eine schöpferische Arbeit ohne Empfindung und Erlebnis bleibt im Handwerklichen stehen. " (1956).


Portrait des Reitlehrers H.
Öl auf Leinwand

 

 

 


Die neue Kathedrale; 1984
Öl auf Leinwand

 

Die berufliche Tätigkeit hat Neidhart freilich häufig gefordert, weshalb ein konzentriertes Arbeiten im großen Format auf der Leinwand oder auf der Holztafel über die notwendigen Wochen hinweg nicht möglich war. Manche Bildidee ging dem Künstler gleichwohl nicht mehr aus dem Kopf und verlangte nach Gestalt. Vor diesem Hintergrund begann die Zeichnung und mit ihr die Druckgraphik verstärkte Bedeutung in Neidharts Oeuvre zu gewinnen. Angefangen mit Holzschnitten, Monotypien und Siebdrucken in den früheren Schaffensperioden wurde in den letzten Jahrzehnten die Radierung - meist in der besonderen Ausprägung der Aquatintaradierung - bevorzugtes Ausdrucksmittel im Schaffen des Künstlers.

Angesichts der beschriebenen Grundanlagen erscheint es im Nachhinein zugleich konsequent, daß Neidhart immer auch "kritisch" gearbeitet hat, Aktuelle Themen der Zeit spielten dabei genauso eine Rolle wie Beobachtungen an einzelnen "Zeit-Genossen".

Es ist hier nicht das Feld, all diese Bilder aufzuführen, die von "Antennen", 1956, über den "Reitlehrer H.", 1972, bis hin zur "neuen Kathedrale" von 1984, reichen und als Aufgabenstellung auch in der Gegenwart nicht vergessen werden.

Dennoch wäre es falsch, Neidhart ausschließlich auf dieses Genre festzulegen. Gerade von seinen zahlreichen Reisen bringt der Künstier immer wieder Skizzen und Studien nach den Menschen mit, denen er dort begegnet ist und den Landschaften, die er bereist hat. Der Künstler versteht seine Landschaften als "Strukturen". Dies gilt für die Arbeiten der "Marrakech"- Serie genauso, wie für jene Werke, die unter dem Eindruck von Studienreisen nach China oder nach Irland entstanden sind. Natürlich sind über die Jahre hinweg Entwicklungen erkennbar.

 

 

 

 


Marakesch
Ol / Acryl Lwd

 

 

 


Marakesch
Ol / Acryl Lwd

Frühe Arbeiten, wie etwa die farbig lavierte Monotypie "Palermo" von 1956 oder die Graphit-Zeichnung "Montmartre" von 1960 erfreuen sich noch stärker an einer barocken Fülle von Details. Aber schon in der 1971 in Frankreich entstandenen Ölzeichnung "Rosette" oder insbesondere bei dem Farbschnitt"Moskau-Kreml" von 1973 wird der topographische Ansatz deutlich unterstrichen.

Neidhart läßt sich jedoch nicht alleine auf das Bild der Landschaft der von ihm bereisten Länder reduzieren, genauso interessieren ihn die Menschen in diesen Landschaften. Aus Israel brachte er 1981 nicht nur die ausdruckstarke Portraitskizze eines "Rabbi" mit, sondern wußte mit knappen, aber genäuen Strichen die "Anrufung" einiger orthodoxer Juden vor der Klagemauer zu notieren. Oft sind die Physiognomien solcher Menschen wie Landschaften zerfurcht. Sei es der"Pope Nikolaos", dem Neidhart 1982 auf Kreta begegnete, oder der"Beduine" bzw. der"Fellache" 1985 in Ägypten.

In Marokko heftete der Zeichner 1989 seinen Blick auf eine"Dame im Maghreb" und spürte den geheimnisvoll "Verschleierten" nach. Leichter machten es ihm die Damen in Amerika, das er 1992 bereiste. Ein "Mädchen mit Blumenhut" hielt der Maler ebenso mit raschen Strichen fest, wie ein "Kreolenmädchen". Auch in Mexiko prägten sich Neidhart 1997 insbesondere die Menschen in ihrer malerischen und farbenprächtigen Kleidung ein.

Dennoch überwiegt auch in Neidharts graphischem Werk die Landschaft als Thema. Aus Norwegen brachte der Künstler 1986 spontane Naturskizzen mit sparsamer Andeutung der Farbtonwerte mit. Meist handelte es sich um Ausschnitte, die bereits auf bestimmte Strukturmerkmale der norwegischen Landschaft hin verdichtet worden sind. Ein zentrales Thema von Neidharts Norwegen-Schilderungen ist das dort herrschende Licht. In anderen Bildern interessierte den Maler die Wirkung des Lichtes auf die vom Wasser überspülten Felswände. Gerade diese Gemälde erscheinen mir charakteristisch für die Grundeinstellung des Malers: Zur Schärfung des Ausdrucks so abstrakt wie irgendmöglich, aber niemals ungegenständlich.

Vor allem Irland, die"grüne Insel", die Neidhart 1993 aufgesucht hat, hat ihn zu einer Reihe von Gemälden angeregt. Zu den Landschafts-Strukturen, zur Totalen der Landschaft, kommt als drittes Element noch die sorgfältige Bildung des Details hinzu. Beispielsweise die Zeichnung der Feisplatten, aus deren Ritzen und Spalten sich blühendes Grün ans Licht zwängt.

Ganz ähnlich auch die Eindrücke von "Island", wohin es Neidhart 1997 gezogen hat. Diese Insel faszinierte den Künstler, weil sie eine Vielzahl der unterschiedlichsten landschaftlichen Erscheinungen auf engstem Raum versammelt: Vulkanische Berge und tiefe Schluchten, heiße Quellen und gischtendes Meer.

Auf den Spuren Marco Polos bereiste der Maler im Frühjahr 1994 China. Gerade diese Studienreise scheint bei ihm eine regelrechte Schaffenseuphorie ausgelöst zu haben, die mit Fleiß nur unzureichend begründet sein dürfte. Ich denke eine wesentliche Rolle spielt hier die Tatsache, daß Neidhart in China den uns gemeinhin vertrauten Kulturkreis erstmals verlassen hat. China ist für uns gewöhnliche Sterbliche eine Weit, der eine Aura des Fernen und Geheimnisvollen anhaftet. Hier ist, so hört man allenthalben, alles fremd. Die geistigen und philosophischen Grundlagen sind uns fremd; das Weltbild dieses wohl volkreichsten Landes auf der Erde im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn, ist ein anderes.

Meditation, gefühlsmäßige Vereinigung mit dem Gegenstand auf der Suche nach der bildmäßigen Wahrheit und Streben nach kalligraphischer Umschreibung des Sujets, waren Bedingungen, die Neidhart in seinen Erinnerungen an diese Chinareise zu vereinigen suchte. Natürlich hat er wie sonst auch zahlreiche Ansichten des Li-Flusses in Südchina mit raschen Skizzen festgehalten. Selbstverständlich war der Zeichenblock auf der Fahrt auf dem legendären 1000 Kilometer langen Kaiserkanal zwischen Peking und Shanghai dabei. Auch die Zuckerhutkegelberge des Guilin wurden gezeichnet. Manches Bild prägte sich dem Auge ein.

Die eigentliche Arbeit aber setzte nach Wochen oder Monaten im Atelier ein. Dann erst wurde mit eigens "importierter", originaler schwarzer chinesischer Tusche und Reispapier experimentiert. Es wurde neue Farbnuancen ausprobiert und andere Materialien adoptiert. Derart "gestützt" tauchte schließlich allmählich aus der Erinnerung, wenn man so will, aus dem Gefühl, ein ganzheitliches Bild der chinesischen Landschaft auf.

Weniger die Tagesaktualität des so und so erlebten Landschaftseindruckes, sondern eben die aus der Erinnerung, vielleicht sogar aus dem Gefühl heraus gewonnene, überschauende Vorstellung goß Neidhart in bildhafte Zeichen; allmählich gelang es ihm in seinen besten Arbeiten, eine Landschaft einfach nur hinzuschreiben.


Wallfahrt der Kirchtürme
Farbradierung

 

Obwohl er gerne in die Ferne schweift, hat Neidhart den Blick für die heimische fränkische Landschaft nicht verloren. Etwa seit 1970 beschäftigt er sich intensiver mit Franken. Dabei geht es ihm nicht um romantisierende Darstellungen von Postkartenschönheiten. Seine Werke sollen den Blick schärfen für das Charakteristische der fränkischen Topographie. In vielen seiner Bilder zeigt er, wie sich die alten, in vielen Generationen gewachsenen Dorfkerne in die umgebende Landschaft hinein schmiegen; nur der Kirchturm schaut oft darüber hinaus. Gerade diese Kirchtürme - weithin ins Land strahlende Merkzeichen Frankens - haben Neidhart häufig zu Druckgraphiken angeregt. Beispielhaft nenne ich die 1982 entstandenen Farbmonotypien "Franko Morgana" und "Prozession der Kirchtürme" oder die Farbradierung "Fränkischer Garten". Stets schwingt in solchen Darstellungen auch die Sorge um die Gefährdung dieser Kulturlandschaft mit, die im Bereich der Ölmalerei 1983 durch eine Reihe von Werken unter dem Titel "Nature Morte" verstärkt zum Ausdruck kam.


Skizze zu EVASU; 1982

 

 


"Einfach genial"; Aquatinta; 1982

Ein weiteres Arbeitsfeld im Werk des Künstlers ist seit vielen Jahren die kritische Graphik. Neidhart geht dabei den schmalen Grat zwischen "Capriccio" und Karikatur. Suchte man nach einer Beschreibung, nach so etwas wie einem Gattungsbegriff für diese Arbeiten, so mußte man sich diesen wohl aus der Literaturwissenschaft ausleihen: "Satire" wäre vielleicht das richtige Wort. Nachdem Neidhart seine Satiren jedoch häufig als Radierungen verbreitet, hat sich der Vorschlag durchgesetzt, von "Satierungen" zu sprechen.

Natürlich sind diese kritischen Arbeiten nie völlig objektiv, zumal dann, wenn "Herzblut" beim Künstier geflossen ist. Einer Kunst-Kritikerin hat Neidhart einen gezeichneten Zyklus mit dem Titel "EVASU" von 1982 gewidmet. Hier wird "Waffe gegen Waffe", so der Titel einer Arbeit, sorgsam gespitzter Zeichenstift des Künstlers gegen die spitze Feder der Kritikerin ins Feld geführt. Mit großer Freude am Detail wird ein subjektiv-idealisiertes Portrait, vielleicht sogar ein Psychogramm der"werten" Kritikerin inszeniert und buchstäblich kein gutes Haar an ihr gelassen.

Später hat sich Neidhart ein weiteres Mal mit dieser Thematik auseinandergesetzt. "Einfach genial" heißt eine Radierung, in der alle Kunsthistoriker, Kunstfreunde und andere Kunstsachverständige ihr"Fett" abbekommen. Zwei Menschen dieser Species werden von Neidhart dabei beobachtet, wie sie angesichts eines nagelartigen Kunstwerkes aus dem Umfeld der minimal art in hysterisch-enthusisasmierte Elogen ausbrechen: "Einfach genial, diese Minimierung! Eine reale Potenzierung der Expressivität" lautet die beißend ironische Unterschrift.


Lesung Dr. Horuse; Auqatinta; 1985

 



Ovation; Auqatinta; 1985

Auch wenn der unmittelbare Anlaß für solche Themen, wie immer bei Neidhart, persönliche Betroffenheit war, drückt sich darin nichts anderes aus, als der ewige, man ist fast versucht zu sagen "naturgemäße" Streit zwischen Kunst und Kunstkritik. Deshalb hat sich Neidhart im Laufe der Zeit auch verstärkt allgemeingültigeren Fragestellungen zugewandt. 1985 beispielsweise bereiste er Ägypten auf den Spuren der Pharaonen. Was ihm dabei auffiel, waren allerdings weniger die gewaltigen kulturgeschichtlichen Überreste dieser untergegangenen ägyptischen Welt sondern die Gepflogenheiten moderner Studienreisen. Herausgekommen ist dabei ein zehnteiliger Zyklus von Aquatintaradierungen mit dem Titel "Ägyptenreise", in dem Neidhart mal gnadenlos karikierend, mal augenzwinkernd von seinen Beobachtungen am Nil berichtet.

Die ägyptischen Wüstensöhne sind trotz ihres archaischen Aussehens, an dem sich seit den Tagen des biblischen Joseph kaum etwas geändert haben dürfte, hervorragende Experten in der neuzeitlichen Tourismus-Betreuung. Schon beim Betreten des Landes erscheint es geraten, möglichst freigebig durch die"Bakschisch Allee" zu schreiten, soll der Start in das Land gelingen. Nach der"Lesung aus dem Buch des Pharao" wendet man nach entsprechender Einführung von "Reiseführer Dr. Horus" "Die Augen links" zum "Vorbeimarsch vor Ramses II.". Zum absoluten touristischen Pflichtprogramm gehören selbstredend "Der große Zeh von Ramses II." und der "Krokodilgott Sobek". Während den Zeh zu "küssen" weitgereisten Touristen offenbar Glücksgefühle bereitet, ist dies bei der Begegnung mit dem Krokodilgott nicht ganz so offensichtlich. Mit"Ovationen" und "Objektivitaten" endet diese Bilderserie aus dem Land der Fellachen und Pharaonen.


Side Seeing ; Auqatinta; 1990

Reiseerlebnisse spielen in der Tat häufiger eine Rolle in Neidharts kritischen Graphiken. In "Side-seeing" von 1990 beispielsweise karikiert er die Unarten des Bus-Tourismus oder in der unlängst entstandenen Radierung "Fern-sehwanderung" unser von den Medien vorgeprägtes Naturverständnis, dem wir eigenes Erleben entgegenzusetzen nicht mehr fähig sind. Neidhart wäre nicht Neidhart und zusätzlich von den Genüssen der fränkisch-süddeutschen Küche verwöhnt, wenn ihm die Essgewohnheiten unserer amerikanischen Freunde bei einer USA-Reise nicht"aufgestoßen" wären: "Don't feed animals" und "All you can eat" sind zwei herrliche Beweise dafür. Überhaupt "Essen"! Dieses Thema spielt immer wieder herein. Im Zyklus"Klassentreffen" von 1988 beispielsweise war es"Der neue Gleichschritt", in dem sich ehemalige Flakhelfer Jahrzehnte später aufs üppig angerichtete kalte Buffet zubewegten, der die Radierfeder Neidharts animierte.

Ansonsten sind es die kleinen oder großen Schwächen, die aufgespießt werden. Gerne greift Neidhart die Attituden von Aufsteigern, die sich über ihre Mitweit erheben und ihre Aufgeblasenheit gar nicht bemerken. Andererseits gehören dazu aber auch jene schwachen Charaktere, die es zulassen, daß sich einer "aufbläst": All denen sind Graphit-Zeichnungen gewidmet wie "Der Aufsteiger", "Die Vorlage", "Der Vorsitzende" oder"Diagonal-Diskussion". Vollends hat Neidhart diese Species in der Radierung "Der Empfang" entlarvt: Als Gleicher unter Gleichen lauscht man im dunklen Anzug mit Ordensspange und Sektglas einer Ansprache. Freilich auch hier gilt das Gesetz der Menge, die letztendlich gesichtslos ist. "Der Empfang" bleibt am Ende nur eine Versammlung von "austauschbaren" Köpfen, so jedenfalls zeigt uns das Neidhart.

Kaum einer ist vor Neidharts spitzem Strich in der Vergangenheit sicher gewesen. Nicht Kunstkritiker noch Kunstbetrachter. Zugleich besitzt er die Größe, sich in einer Serie von 1998 entstandenen lavierten Graphit-Zeichnungen erstmals selbst ins Visier zu nehmen. "Auf Malreise" hat er die Blätter genannt und darin das eine oder andere Erlebnis des Kunstreisenden verarbeitet: Reisen verschafft, so sagt man, den richtigen "Überblick". Gelegentlich kann es aber vorkommen, daß man des Überblicks wegen auf einen hohen Berg hinauf geklettert ist, und dann außer den Wolken unter sich nichts mehr sieht. Aber auch für den, der die Bodenhaftung noch nicht verloren hat, birgt die Erde manche Gefahr bei der"Motivsuche". Die Wünschelrute des Künstlers zeigt zwar deutlich nach unten, dort aber droht ein gefährlicher Graben, in den der Maler hocherhobenen Hauptes hinein stolpern wird. Gleichwohl ist für einen richtigen Künstler wie Neidhart ein "erhöhter Standpunkt" die einzige angemessene Perspektive; selbst wenn man sich dazu zweier wackliger Stelzen bedienen muß. Das Auto ist im zwanzigsten Jahrhundert für den Kunstreisenden ein unentbehrliches Fortbewegungsmittel geworden. Gelegentlich kommt dabei der Künstler im Kampf mit Technik und Getriebe zu einer völlig neuen Definition des Begriffes "Ölgemälde". Daß "wer sein Auto liebt, der schiebt", hat auch Neidhart erfahren müssen; meist dann, wenn es bis übers Dach hinaus mit Kunstwerken für eine Ausstellung vollgepackt war. Der Künstler war danach so "platt", daß diese Zeichnung "ohne Worte" auskommen muß. Solche Erlebnisse waren jedoch geradezu harmlos, im Gegensatz zu jenen Gefahren, denen der"Zeichenspion" in Umbrien dermaleinst ausgesetzt war. Ein Soldat mit Gewehr im Anschlag bedroht die Freiheit der Kunst. Immerhin darf sich der italienische Staat seitdem über Kunstwerke mit Darstellungen einiger, von Neidhart heimlich gezeichneter, Bunker in seinem Besitz freuen. Ein Maler muß sich im Laufe der Jahre daran gewöhnen, daß es Banausen gibt, die mit seinen Kunstwerken nichts anzufangen wissen. Nur selten jedoch werden diese Ignoranten durch den Anblick von Kunst derart gereizt, daß sie wie ein wilder Stier dem Maler zu einer, in einschlägigen Kunstlexika bisher fehlenden, Vorstellung des Begriffes "Fluchtpunkt" verhelfen.

Zweifelsohne ließe sich die Reihe dieser Beispiele aus dem graphischen Werk Neidharts fortsetzen. Man könnte die Frage nach den Feinheiten der druckgraphischen Techniken stellen, an denen auch dieser Künstler stets immer wieder neu feilt. Mit den Worten von Ludwig Wiener spricht aus dem Werk Neidharts "ein scharf beobachtendes Auge, ein Verstand, der umzusetzen vermag und eine Hand, die immer die jeweils geforderten Technik scheinbar mühelos liefert". Das aber sind zugleich die wesentlichen Voraussetzungen für die tieferliegenden Anliegen des Künstlers: Kunst ist für ihn nie Selbstzweck gewesen. Kunst hat für Neidhart eine Aufgabe innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen. Die bildende Kunst leistet genauso wie Literatur oder Musik einen Beitrag zur Bewußtseinsbildung; im besten Fall vielleicht sogar zu einer Verfeinerung dieses Bewußtseins.

 

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